- Wirtschaftsnobelpreis 1989: Trygve Haavelmo
- Wirtschaftsnobelpreis 1989: Trygve HaavelmoDer norwegische Ökonom erhielt den Nobelpreis für seine Formulierung der wahrscheinlichkeitstheoretischen Grundlagen der Ökonometrie.Trygve Magnus Haavelmo, * Skedsmo (Norwegen) 13. 12. 1911, ✝Oslo 26. 7. 1999; 1940-42 Rockefeller Fellow, 1942-44 Statistiker Nortraship New York, 1945 Handelsattaché an der norwegischen Botschaft in Washington D.C, 1946-47 COWLES Commission University of Chicago, 1947-48 Handels-, Industrie und Finanzministerium Oslo, 1948-79 Professor für Volkswirtschaftslehre Universität Oslo.Würdigung der preisgekrönten LeistungIm Jahr 1989 verlieh die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften den Nobelpreis an Trygve Magnus Haavelmo für dessen Pionierarbeiten zur Entwicklung der modernen Ökonometrie. In seiner Begründung hob das Preiskomitee hervor, Haavelmo habe wesentlich zur Klärung der wahrscheinlichkeitstheoretischen Grundlagen ökonometrischer Methodik beigetragen und so das Verständnis simultaner ökonomischer Strukturen entscheidend vorangebracht. Haavelmo, der erst kurz vor Vollendung seines 78. Lebensjahres diese bedeutende Auszeichnung erhielt, wurde aber nicht nur als Forscher, sondern auch als herausragender akademischer Lehrer geehrt, der die Wirtschaftswissenschaften seines Heimatlandes Norwegen über ein halbes Jahrhundert mit geprägt hatte.Ein überaus wertvolles Stipendium in den USABereits im Alter von 22 Jahren erwarb Trygve Haavelmo sein Diplom für politische Ökonomie an der Universität Oslo, wo er im Anschluss bis 1938 als Forschungsassistent tätig war. Als ausgesprochenes Glück bezeichnete Haavelmo den Umstand, vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 auf Stipendienbasis in die Vereinigten Staaten von Amerika reisen zu dürfen. Der insgesamt knapp siebenjährige Aufenthalt, der unter anderem Studien bei dem damals weltberühmten Statistiker Jerzy Neyman in Kalifornien sowie eine Einladung zur renommierten COWLES-Stiftung an der Universität von Chicago beinhaltete, trug nach eigenen Aussagen Haavelmos zu einem tiefer gehenden Verständnis ökonometrischer Fragen bei. Seine bahnbrechende Doktorarbeit mit dem Titel »The Probability Approach in Econometrics« (englisch; Wahrscheinlichkeitsrechnung und Ökonometrie), die 1941 in Harvard entstand und 1944 in der Zeitschrift »Econometrica« veröffentlicht wurde, fällt ebenfalls in diese Zeit.Die Ökonometrie beschäftigt sich mit dem Schätzen ökonomischer Beziehungen und testet, ob und inwieweit die unterstellten ökonomischen Beziehungen mit der Realität übereinstimmen. Typische Fragestellungen betreffen zum Beispiel die Reaktion von Angebot und Nachfrage auf Preisveränderungen, die Auswirkung gegenseitiger Zollerleichterungen auf die Entwicklung der Handelsströme der betroffenen Länder oder den Einfluss einer Senkung von Lohn- und Einkommensteuern auf die Bereitschaft von Haushalten, ihr Arbeitsangebot zu erhöhen. Solche Schätzungen erfordern drei Voraussetzungen: Theorien zur Abbildung der Wirklichkeit, empirische Daten oder Beobachtungen, die zu den theoretischen Konzepten passen, und eine Methodik, die in der Lage ist, auf der Basis dieser empirischen Daten die theoretischen Beziehungen zu testen und in Zahlen auszudrücken.In der Zeit vor 1940 gab es zwar eine Vielzahl schlüssiger Theorien, es fehlte aber sowohl an systematisch erfassten empirischen Daten als auch an zuverlässigen Testmethoden. Selbst in Fällen, in denen man mit großer Sicherheit annehmen konnte, dass bestimmte ökonomische Größen nur von einem einzigen Faktor ursächlich beeinflusst werden, blieb stets ungeklärt, wie stark dieser Einfluss war. Noch problematischer gestaltete sich die Überprüfung der Theorien, wenn die untersuchte Größe gleichzeitig von mehreren Faktoren beeinflusst wird, deren Wirkungsrichtung gleichgerichtet oder gegenläufig sein kann. Die Frage nach dem Nettoeffekt sämtlicher Einflussfaktoren konnte nicht ermittelt werden. Ökonomische Theorien blieben daher auf qualitative Aussagen beschränkt, sodass immer Zweifel an deren empirischer Gültigkeit bestanden.Die Begründung der modernen ÖkonometrieAb 1940 veränderten sich die Rahmenbedingungen wissenschaftlicher ökonomischer Forschung zusehends. Sowohl die systematische Erhebung von Wirtschaftsdaten im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als auch die Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeitstheorie, die insbesondere von Haavelmo forciert wurde, führten zur Begründung der modernen Ökonometrie. Zwei fundamentale Probleme damaliger quantitativer Untersuchungen standen im Zentrum des Forschungsinteresses. Erstens ist anzunehmen, dass nicht sämtliche Bestandteile ökonomischer Theorien mit den verfügbaren empirischen Daten vollständig übereinstimmen. Dazu werden die individuellen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte von zu vielen bestimmenden Faktoren beeinflusst. Zweitens ist es für Ökonomen im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern nahezu unmöglich, kontrollierte Experimente durchzuführen. Empirische Beobachtungen sind vielmehr das Ergebnis einer Vielzahl wechselseitiger ökonomischer Interaktionen (Interdependenzproblem). Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkungszusammenhänge sind auf der Basis ökonomischer Variablen daher mit erheblichen Problemen behaftet. Das isolierte Testen einzelner ökonomischer Abhängigkeiten kann insofern irreführend sein und zu so genannten Scheinkorrelationen führen.Haavelmo beschäftigte sich im Rahmen seiner Dissertation intensiv mit dieser Gefahr und zeigte, dass es in einem ersten Schritt sinnvoll sei, ökonomische Fragestellungen als Wahrscheinlichkeitsaussagen zu formulieren. In einem zweiten Schritt könnten dann aus einer verfügbaren Zufallsstichprobe empirischer Daten mithilfe der Methoden mathematischer Statistik überzeugende Schlüsse über zugrunde liegende Ursächlichkeiten abgeleitet werden. Statistische Methoden würden es zudem erlauben, sämtliche Wechselbeziehungen in einem Modell gleichzeitig zu schätzen, wodurch Interdependenzprobleme isolierter Tests vermieden werden könnten.Für Haavelmo blieb die Entwicklung neuer ökonometrischer Testmethoden allerdings kein Selbstzweck. Er wandte sich in der Folgezeit der Aufgabe zu, schätzbare dynamische Theorien zu formulieren und die neuen Methoden darauf anzuwenden. Herausragende Forschungsleistungen Haavelmos, die in der Preisbegründung explizit mit angeführt wurden, betreffen zum einen die Analyse möglicher Gründe für die wirtschaftliche Unterentwicklung einzelner Volkswirtschaften, die er 1954 als »A Study in the Theory of Economic Evolution« (englisch; Studie zur Theorie der ökonomischen Evolution) veröffentlichte. Zum anderen leistete er 1960 mit »A Study in the Theory of Investment« (englisch; Studie zur Investitionstheorie) einen wertvollen theoretischen Beitrag zur Entwicklung der Investitionen eines Landes. Den heutigen Ökonomiestudenten ist Haavelmo schließlich durch den nach ihm benannten Multiplikatoreffekt eines ausgeglichenen Staatshaushalts bekannt. So zeigt er in einem Aufsatz von 1945, dass eine in vollem Umfang steuerfinanzierte Erhöhung der Staatsausgaben keineswegs immer konjunkturneutral ist, sondern unter bestimmten, wenngleich sehr einschränkenden Annahmen positiv auf Volkseinkommen und Beschäftigung wirken kann.Trygve Magnus Haavelmo lehrte und forschte bis zu seinem Tod am Socialökonomisk Institutt der Universität Oslo. Er starb am 26. Juli 1999 im Alter von 87 Jahren.G. Schmid
Universal-Lexikon. 2012.